Et si conspirer était une bonne idée? – Und wenn sich verschwören eine gute Idee wäre?

Die Übersetzung dieser Rezension des im französischen erschienenen Manifests ist uns von @iLArrabbiata zugeschickt worden. Wir danken herzlich dafür!

Manifeste conspirationniste

– Traduction du compte-rendu du nouveau „Manifeste conpirationniste“ sur https://reporterre.net/Et-si-conspirer-etait-une-bonne-idee
Und wenn sich verschwören eine gute Idee wäre?
– Übersetzung einer Rezension des neuen „verschwörerischen Manifests“ auf https://reporterre.net/Et-si-conspirer-etait-une-bonne-idee:

Verschwörungen sind überall, sie sind sogar Teil des Lebens, versichern die – anonymen – Autoren1 des „Manifest conspirationniste“ (dt.: „verschwörerischen /verschwörungstheoretischen Manifests“). Das Buch ist ein Wirbelwind, der die intellektuelle Luft aufwirbelt, die seit zwei Jahren durch das Covid-Gebot gelähmt ist.

Wir ersticken!

Wir ersticken unter den absurden Befehlen, den wiederholten Geldstrafen, den Widersprüchen und den Dekreten, den Pseudo-Experten, den Lügen und den Wahrheiten, die sich im Laufe der Zeit verändern und der Unmöglichkeit, zu diskutieren und zu reflektieren. Wir ersticken nach zwei Jahren der Infantilisierung, der Verleugnung der kollektiven Intelligenz, der Beleidigungen durch den Präsidenten und der Bereicherung der Milliardäre. Während wir angesichts der Pandemie handeln, weil wir Bürger und nicht Untertanen sind, ersticken wir an der Verlogenheit all dieser Leute.

Und weil wir ersticken, tut es sehr gut, das Manifeste conspirationniste zu lesen. So wie das Öffnen des Fensters die wirksame Methode ist, um das möglicherweise in der geteilten Luft zum Atmen schwebende Virus hinaus zu befördern, so ist auch dieses Buch eine offene Tür, um die Debatte aufzurühren und aus der kollektiven Stummheit herauszukommen.

Aber … „verschwörungstheoretisch“, immerhin! Sind die anonymen Autoren [1] nicht einfach nur billige Verschwörungstheoretiker, wie es die Zeitungen der Milliardäre behaupten? Nein, denn die Verschwörung ist überall, zeigen die Autoren des Manifests, die Verschwörung ist dem gesellschaftlichen Leben inhärent, und es sind in erster Linie die Mächtigen, die sich verschwören: „Es wäre albern, sich zu fragen, ob sie sich verschwören, die ein Prozent, die 48 Prozent des Weltvermögens besitzen, die überall die gleiche Art von Schulen, Orten und Menschen besuchen, die die gleichen Zeitungen lesen, den gleichen Moden verfallen, in den gleichen Diskursen baden und im gleichen Gefühl ihrer erblichen Überlegenheit schwelgen. Natürlich atmen sie die gleiche Luft. Natürlich verschwören sie sich. Dafür müssen sie nicht einmal konspirieren.“ Und einige Verschwörungen der Mächtigen zu beschreiben, die die jüngste Zeit geprägt haben, wie den Aufstieg des Neoliberalismus, der seit den 1940er Jahren in der Mont Pèlerin Society durch Friedrich Hayek und Milton Friedmann vorbereitet wurde, oder die Politik der Ölkonzerne seit den 1970er Jahren zur Verbreitung des Klimaskeptizismus[, ist Ziel des Manifests; Anm. d. Ü.]. Wir müssen wegkommen von dem Tim-und-Struppi-Bild maskierter Verschwörer, die sich im Geheimen treffen, um ein abscheuliches Verbrechen zu planen.
„Die Verschwörung hat es überhaupt nicht nötig, ihre Mitglieder zu versammeln. Sie schwebt. Ihr Element ist die Luft. Die Absprache kann hier stillschweigend, diffus und so schwer fassbar wie eine Idee bleiben.“

„Die Kehrseite der Zeitgeschichte erzählen“

Also: „Wenn es Verschwörungstheoretiker gibt, dann einfach deshalb, weil es Verschwörungen gibt“. Und die Autoren präzisieren: „Die Abartigkeit ist nicht der Verschwörungswahn, sondern der zu milde Verschwörungswahn: die Tatsache, dass man nur eine große Verschwörung erkennt, obwohl es unzählige Verschwörungen gibt, die in allen Richtungen, überall und zu jeder Zeit gesponnen werden.“

Tatsächlich hören die Mächtigen nicht auf, ihre Herausforderer immer wieder der Methoden zu beschuldigen, die sie so konsequent anwenden: „Die gegenwärtige Macht hat Gefallen an dieser immer wiederkehrenden Operation gefunden: eine wahnhafte Realität aufzustellen und dann diejenigen, die sich weigern, sie zu unterzeichnen, zu Ketzern zu erklären.“ Die Methode, um den vermeintlichen Verschwörungstheoretiker zu diskreditieren, besteht darin, seine Frage zu eliminieren, um ihn in Frage zu stellen: „Auf jede – im Übrigen widerlegbare – Aussage über den Stand der Dinge antwortet die antiverschwörungstheoretische Rhetorik mit einer argumentativen Ablenkung auf die Aussage selbst oder sogar auf denjenigen, der sie macht – seine kognitiven Voreingenommenheiten, seinen Mangel an Methode, seine erratische Psyche, seine Paranoia (…). Während wir über die Welt sprechen, sprechen die Anti-Verschwörungstheoretiker nur über uns“.

Es ist also legitim und eine gesunde intellektuelle Gymnastik, die von den Mächtigen vorgebrachten Behauptungen anzuzweifeln, indem man nach ihren unausgesprochenen Absichten sucht. Ein weiser Cartesianer würde dies als „Praktizieren des methodischen Zweifels“ bezeichnen.

Vor allem aber will das Manifeste conspirationniste „die Kehrseite der Zeitgeschichte erzählen“, und zwar anhand des Umbruchs, der durch Covid ausgelöst wurde, und wie die Welt damit umgegangen ist.“ Für die Autoren ist „das Monster, das sich seit zwei Jahren auf uns zubewegt, kein mit einem Protein gekröntes Virus, sondern eine technologische Beschleunigung mit einer kalkulierten Zerstörungskraft. Wir sind jeden Tag Zeugen des Versuchs, das verrückte transhumanistische Projekt der Konvergenz der NBIC-Technologien zu verwirklichen“. NBIC steht für Nanotechnologie, Biotechnologie, Informatik und Kognitionswissenschaften, die laut einem bahnbrechenden Symposium der National Science Foundation im Jahr 2001 in Zukunft verschmelzen sollen. Diese Konferenz trug dazu bei, den späteren Transhumanismus und das Konzept der „vierten industriellen Revolution“ zu lancieren, das von Klaus Schwab, dem Gründer des Davoser Forums, beschrieben wurde, wo sich jedes Jahr die Mächtigen der Welt verschwören. Diese vollständige Digitalisierung der Wirtschaft, um das Projekt zusammenzufassen, ist laut den Kapitalisten unsere Zukunft.

Die Pandemie, „eine göttliche Überraschung“

Das Manifest vertritt eindeutig die Auffassung, dass die Gefahr der Pandemie in ihrer Bedeutung übertrieben wurde, vor allem aber, dass sie „eine göttliche Überraschung“ war, die es ermöglichte, von langer Hand vorbereitete Kontrollstrategien umzusetzen, um immer massivere Revolten zu unterbinden. Tatsächlich bedrohten 2019 in Hongkong, Algerien, Chile, dem Libanon und Kolumbien beeindruckende Volksbewegungen die Machthaber. Und so wie die nach 2001 eingeleitete Antiterrorpolitik den seit 1998 erwachten Protest gegen den Kapitalismus unterdrückte, „antwortet die Konterrevolution von 2020 auf die Aufstände von 2019“.

Konterrevolution? Es ist so, dass seit 1999 auf Konferenzen und [militärischen; Anm. d. Ü.] Übungen, an denen Militärs, hohe Beamte und große Unternehmen teilnehmen, Szenarien für die Reaktion auf Pandemien vorbereitet werden. Die Frage war damals aufgekommen, weil die Sorge um biologische Waffen wieder entflammt war. Die Autoren zählen daher verschiedene Schlüsselmomente dieser Pandemic Preparedness (Vorbereitung auf Pandemien) auf, die sich in den 2000er Jahren überstürzt hat: Kolloquium zur Reaktion auf einen bioterroristischen Angriff 1999, Übung Dark Winter 2001, [das Pandemie-Planspiel; Anm. d. Ü.] Atlantic Storm 2005, [Krisensimulations-; Anm. d. Ü.] Übung Mars in Berlin 2017, [das Pandemie-Planspiel; Anm. d. Ü.] Clade X in Washington im Mai 2018, [die Übung; Anm. d. Ü.] Crimson Contagion Anfang 2019, [das Pandemie-Planspiel; Anm. d. Ü.] Event 201 im Oktober 2019. All diesen Übungen ist gemeinsam, dass sie nicht nur Freiheitseinschränkungen vorsehen, sondern laut einem Dokument einer dieser Konferenzen auch, dass „die Vorstellung einer stärker kontrollierten Welt an Akzeptanz und Zustimmung gewinnt (…), [dass] die Bürger freiwillig etwas von ihrer Souveränität – und ihrer Privatsphäre – an paternalistischere Staaten abgeben (…), [dass] die Bürger gegenüber einer stärkeren Führung und Überwachung toleranter werden und diese sogar wünschen“.

In kenntnisreichen und spannenden Kapiteln erfährt man auch, wie die Techniken der sozialen Kontrolle alias „Sozialpsychologie“, „Verhaltenswissenschaften“ oder „Behaviorismus“ in diesen Szenarien zum Einsatz kamen, aber bereits Ende der 1940er Jahre im Kontext des Kalten Krieges mit ständiger Unterstützung der CIA, der wichtigsten Spionageagentur der USA, entwickelt wurden. „Die anthropologische Annahme der gesamten Sozialpsychologie ist, dass Menschen nicht aufgrund dessen handeln, was sie denken und sagen. Ihr Bewusstsein und ihre Reden dienen lediglich dazu, die Handlungen, die sie bereits vorgenommen haben, im Nachhinein zu rechtfertigen.“ Es geht also darum, Techniken anzuwenden, wie die des „Fußes in der Tür“, wie zum Beispiel das Tragen von Mundschutz im Freien, das keinen Nutzen gegen eine Ansteckung hat: „Wer sich einer derart unbegründeten Norm unterwirft, wird dazu neigen, in ihrem Gefolge alle anderen, weitaus weniger harmlosen Normänderungen zu akzeptieren.“ Die Autoren beschreiben verschiedene Arten, wie das menschliche Verhalten geformt wird, die von der Verhaltensforschung erklärt wurden, wie z. B. der „Einfrierungs-Effekt“, der „Anker-Effekt“, die „Unterwerfung unter Autoritäten“, der „Halo-Effekt“ usw.

Die These bleibt jedoch unausgereift, da sie nicht klar aufzeigt oder vorschlägt, was angesichts der Pandemie hätte getan werden sollen. Gewiss, „Covid ist eine Zivilisationskrankheit wie Krebs. Angesichts des milden Charakters der Erkrankung bei den meisten Betroffenen muss man zugeben, dass, wenn es eine „Ursache“ für die Erkrankung gibt, diese weit weniger im Virus selbst als vielmehr im normalen pathologischen Zustand dieser Welt liegt“. Die ausschließliche Fokussierung auf den Impfstoff und die damit einhergehenden polizeilichen Maßnahmen, die zum Nachteil jeglicher Gesundheitspolitik in Bezug auf die Krankheiten – die sogenannten Komorbiditäten -, die die Anfälligkeit für das Virus erhöhen, geführt haben, bestätigen die Gültigkeit dieser Ansicht. Es wäre jedoch hilfreich gewesen, expliziter zu sein, da die Ablehnung von Befehlen nicht ausreicht, um zu überzeugen.

„Was lebendig ist, ist das, was durchdrungen wird, durchdrungen von einem Atemzug“

Eine letzte und nicht unwesentliche Provokation der Autoren besteht darin, die einhellige Achtung vor dem Leben herauszufordern. Sie stützen sich dabei auf einen anderen großen Provokateur, Ivan Illich, den gefürchteten Kritiker des technologischen Mythos: „In dieser semantischen Wüste voller verwischter Echos brauchen wir ein Grigri, einen prestigeträchtigen Fetisch, der es uns ermöglicht, uns als edle Verteidiger heiliger Werte aufzuspielen. (…) Und der neue Fetisch ist das Leben“, schrieb der Denker aus Cuernavaca. Für die Autoren des Manifests gilt: „Die Intelligenz geht durch das Gehirn, wie sie auch durch den Bauch geht, aber ihre Wohnung ist das Herz. Denn das Herz ist der Sitz der Teilhabe an der Welt, der Bereitschaft, von ihr betroffen zu sein und sie im Gegenzug zu beeinflussen.“

Aber sie gehen noch weiter: „Jahrtausende lang, bevor die Biologie alles durcheinanderbrachte, war das, was wir heute als „das Lebendige“ bezeichnen, eher das Belebte – das, was mit einer Seele ausgestattet ist. Im Lateinischen, Griechischen, Hebräischen und in so vielen anderen Sprachen bezieht sich der Begriff der Seele – anima, psyché, rouakh – auf den Atem, den Wind, die Atmung. Was lebendig ist, ist also das, was von einem Atem durchdrungen, durchströmt wird. Leben bedeutet nicht, ein autogenes organisches Zentrum zu sein, nicht einmal ein Wille zur Macht oder eine Form der Organisation – es bedeutet, an dem teilzuhaben, was uns umgibt. Es bedeutet, im Zustand der kosmischen Teilhabe zu sein“. Gemeinsam atmen, was eigentlich sich verschwören2 bedeutet, bedeutet also, mitten in die Politik einzusteigen, die Seelen zum Klingen zu bringen, gemeinsam am Kosmos teilzunehmen. „Die Ebene der Seele ist der Operationsschauplatz des Zeitalters.“

Der nicht immer straffe Text geht in viele Richtungen, die er nicht alle gründlich erforscht, sondern vielmehr als Meilensteine in einer neuen Kartografie der intellektuellen Debatte setzt. Und in der zweiten Hälfte des Buches beginnen Ideen, Referenzen und Anekdoten wie in einem phosphoreszierenden Kaleidoskop herumzuflirren, die durch Fäden miteinander verbunden sind, die das Gewebe der Leinwand erahnen lassen, dieses aber unvollendet lassen. Die Metropole, der Urbanismus, das Gesundheitswesen, das Leben, der Positivismus, die Seele, die Transzendenz… wir schwirren durch eine Galaxie von Gedanken, die um die Sonne organisiert sind, die die Idee des Willens der Kontrolle durch das Kapital ist, die nach und nach die Freiheit der Person erstickt.

Man muss das Buch neben seinem sehr überzeugenden Gesamtgerüst als einen Wirbel sehen, der die intellektuelle Luft aufwirbelt, die seit zwei Jahren durch die Covid-Anordnung gelähmt ist. Alles deutet darauf hin, dass dieser Wirbel und andere, die noch kommen werden, die Miasmen, die in unseren eingeschlossenen3 Köpfen stecken, hinfort fegen werden.

1 Leute, die vorgeben, informiert zu sein, offenbar aus Quellen, die so zuverlässig sind wie die Operation des Heiligen Geistes, wiederholen, dass das Buch vom Unsichtbaren Komitee geschrieben wurde. Dieses versichert per Tweet: „Die Schriften des Unsichtbaren Komitees sind mit ‚Unsichtbares Komitee‘ unterzeichnet“. Die Autoren des Manifests hingegen empfehlen, „der Versuchung zu widerstehen, sich in einer Gruppe zu verschließen, in einer Einheit, die sich als außenstehend begreift. Gruppen sind nur dazu gut, das zu verraten, wozu sie gebildet wurden“.

2 Im Französischen ist hier ein Wortspiel eingebaut: Im Original ist das Verb „conspirer“ con-spirer geschrieben. Die Worttrennung betont die Doppeldeutigkeit, die dem Verb hier gegeben wird: Einerseits bedeutet es „sich verschwören“, andererseits bedeutet es „gemeinsam atmen“.

3 Auch hier bedient sich der*die Autor*in im Französischen eines Wortspiels: „confinés“ ist das im Original gebrauchte Verb. Es ist das Verb, was das Eingesperrt sein durch eine Ausgangssperre beschreibt. Hier wird es übertragen auf unser aller Köpfe, die nicht nur im physischen, sondern auch im psychischen Sinne als eingeschlossen begriffen werden können.

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